Vor anderthalb Jahren machte Yvonne Ammer den wohl wichtigsten Cut in ihrem Leben bereit, sich neu zu (er)finden. Bufdiene in der Farbküche statt Friseurmeisterin im Salon. Nun hat ihr inneres Navi sein Ziel erreicht: Neuland, der künftigen Heimat ihres soziokulturellen Friseursalons „Schnitt & Schnittchen“.

Yvonne Ammers Wohnung platzt aus allen Nähten. Dort steht eine hübsche Lampe rum, die sie aus dem einstigen Altenburger Hof „gerettet“ hat, da ein kleines Regal, das ihr geschenkt wurde, genauso wie zahlreiche andere Dinge. „Es ist alles da. Jetzt kann’s endlich losgehen!“, kommentiert sie ihr persönliches Möbellager lachend. Und mit „es“ meint sie nicht weniger als die eigene Selbständigkeit, die Freiheit, sich ihren Raum im Stadtbild zu schaffen. So bunt und vielfältig, wie es seit dem Beginn ihrer neuen Zeitrechnung aus ihr herausgesprudelt ist und als eine von 22 Neulandgewinner*innen der Robert-Bosch-Stiftung!

Friseurmeisterin – Bufdiene – Gründerin

Rückblick: Als Yvonne und ich uns im Sommer 2019 unterhalten, ist die Trennung von ihrem Ex-Leben noch ziemlich frisch und ihre Zukunft ein blasser Regenbogen am Horizont. Mehr oder minder im Geheimen dekoriert sie den Stadtraum in ihrer Freizeit mit bunt bemalten Fliesen und steht ganz am Anfang ihres neuen Lebens als Bundesfreiwillige in der Farbküche. Kurz vor ihrem 50. beginnt ihre Mission in der Hoffnung, sich selbst neu zu (er)finden.

Anderthalb Jahre und zig gemalte, erlebte, dekorierte und verändernde Momente später ist klar: Sie ist nicht Eine, sondern Viele(s): Einhornmama, Fliesenfrau, Ankerpunkt, Marktlückenentdeckerin und Gründerin ihres eigenen Friseursalons „Schnitt & Schnittchen“! Also back to the roots und wieder waschen, schneiden, legen sechs Tage die Woche? Nein! So sehr das „Haare machen“, wie sie es nennt, zu ihrem Leben gehört, ist es doch noch nur Mittel zum Zweck, um ihrer Kundschaft den Kopf waschen zu können – außen wie innen ;-). „Die Leute mögen negativ gestimmt hier rein kommen, aber so lass ich sie nicht wieder raus“, betont Yvonne Ammer schmunzelnd.

Die „Yvonnisierung“ schreitet voran

Andere dazu zu motivieren, sich selbst und das eigene Leben zu hinterfragen, ist ihr ein Herzensanliegen. „Mein ‚Schnitt & Schnittchen“ Laden bietet wortwörtlich Raum für Veränderung und gräbt zugeschüttete Kreativität wieder aus“, ist sie überzeugt. Mit kreativen Workshops, Sofakonzerten, Büchertauschregal oder Lesungen möchte sie Anlässe für Begegnungen schaffen. Für Miteinander und Austausch im Sinne einer bunteren, lebendigeren Stadt mit glücklicheren Menschen, die ganz nebenbei auch noch die Haare schön haben.

Ein ungewöhnliches Konzept, mit dem sie auch die Robert Bosch Stiftung überzeugen konnte. Angefangen mit einer ersten Projektskizze im Januar 2020 meisterte Yvonne das insgesamt dreistufige Verfahren, überzeugte mit Video und Online-Präsentation, um schließlich in Berlin vor der finalen Jury zu stehen. Samt Frisierstuhl und natürlich mit „Haare machen“. „In dem Moment war ich wieder Schülerin und hatte Angst zu versagen“, gibt sie ehrlich zu. „Aber ich dachte mir, wenn das so werden soll, dann wird’s auch!“

Eröffnung im Frühjahr

Mit 50 000 Euro unterstützt die Bosch Stiftung das Wirken und Werden von Neulandgewinnerin Yvonne und ihrem soziokulturellen Friseursalon bis Ende 2022. Ein finanzielles Netz und doppelter Boden, der ihr nicht nur den Start erleichtert: „Ich hab jetzt noch mehr Bock zu machen und bin froh, es nicht komplett alleine wagen zu müssen, so wie viele andere. Ich glaube, ohne Neuland hätte ich nicht gegründet!“

Richtig losgehen soll es im Frühjahr. Wenn die längeren Tage noch mehr Platz für Soziokulturelles schaffen und jedes ihrer Fundstücke Position bezogen hat. In ihrem eigenen Laden am Kornmarkt!