Noch steht er nackig und verlassen am Zschachelwitzer Kreuz, der Hänger von „Kürbis Heiko“. Doch schon am Sonntag startet die Kürbissaison 2020 und der Verkauf von jeder Menge „Ufos“, „Eicheln“ und natürlich „Filtertüten“. ALL machte den Feldbesuch vorab!
Auf diesen Tag hat Heiko Köhler seit 30. April gewartet: Die Kürbisernte geht los! Nach vier Monaten hätscheln und hoffen, prüfenden Blicken gen Himmel und viel Bodenarbeit schwärmt der erste Schwung am Wochenende im gesamten Altenburger Land aus. „Die erste Ernte… Ich genieß‘ das und mach das ganz in Ruhe zusammen mit meiner Frau und Kaffee trinken mitten auf dem Feld“, schwärmt der Landwirt, während wir Richtung Ort des Geschehens stapfen.
Seit sieben Jahren eine „Kürbismacke“
Der ungewohnt ergiebige Regen der letzten Tage hat den Kürbissen nochmal ordentlich Auftrieb gegeben. Unter dem üppigen Blätterdach versammeln sich mehr Früchte denn je. „Trotzdem sind’s immer noch ein Viertel weniger als normal. Aber die Qualität stimmt und die Hokkaidos sind sogar eine Nummer größer“, zeigt sich „Kürbis Heiko“ zufrieden.
Dass er mal Herr über vier Hektar handgelegte Kürbispflanzen sein und sein Spitzname weit über die Landkreisgrenzen hinaus für leckere Herbstboten in zig Varianten stehen würde – für den 53-Jährigen vor sieben Jahren undenkbar. Damals adoptierte er die „Kürbismacke“ von Familie Sattler aus Jauern und startete mit einem vergleichsweise kleinen Eckchen. „Einfach auf den Kompost werfen und wachsen lassen, denken viele. Aber so einfach ist das nicht mit dem Kürbis“, betont der Experte und gibt zu: „Die ersten zwei Jahre habe ich sehr viel Lehrgeld gezahlt“, während wir unser Ziel erreichen.
Mäuse, Mauser und Nackedeis
Grün, sehr viel Grün. Erst wenn man den Kopf schräg legt und unter das ausladende Blattwerk blickt, blitzen tieforange Hokkaidos hervor. Die „Normalos“ unter den Kürbisarten und am ehesten Suppenkandidaten bilden ein natürliches Schutzschild für die Exoten. „Damit weniger gemaust werden“, merkt „Kürbis Heiko“ knapp an. Genau deswegen „versteckt“ er auch sein Feld, so gut es geht, fehlt der Name des Dorfes in diesem Text. „Ich hab schon Dinge auf dem Kürbisfeld erlebt…“, beendet er den Satz mit einem Kopfschütteln. Geschichten, in denen neben zu viel Mäusen, Wildsauen und nächtlichen Kürbisräubern auch Nackte vorkommen. „Eine tolle Fotografin aus Nöbdenitz hat mein Feld mal als Kulisse für ein Nackshooting genommen. Die hab ich dann in Ruhe machen lassen“, erzählt er grinsend.
Die meisten Sorten sind essbarer, als sie aussehen
Mitten auf dem Feld gedeihen die Kürbisse „Eicheln“, „Spaghettis“ oder „Riesen“. Über ein Dutzend Sorten versammeln sich und bringen „Kürbis Heiko“ ins Schwärmen. „Diese Vielfalt. Das Farbspiel. Das ist schon ein Gedicht!“ Ein essbares in den meisten Fällen noch dazu, weshalb an jedem Verkaufshänger auch ein Schwung Rezepte zum Abfotografieren hängt. „Kürbisspalten aus dem Ofen mit Rosmarin und Hähnchenkeulen. Lecker!“
Geburtshilfe für kleine Pflänzchen
Wobei er die Aussaat im Frühling noch mehr genießt. „Ganz schlimm bin ich ja, wenn die aus der Erde rauskommen. Das ist für mich wie eine Geburt, wirklich!“ Normalerweise vergingen etwa zehn Tage, bis die Samen keimen. 2020 tat sich über vier Wochen so gut wie nix. „Die lagen einfach nur im Staub.“ Doch dann zeigten sich die kleinen Triebe und „Kürbis Heiko“ erleichterte ihnen den Start. „Ich nenn das ‚Geburtshilfe‘ und entferne die Samenhülsen von den Keimblättern, damit die Pflänzchen aufgehen können. Jeder hat seinen Klaps!“ Sagst und deutet auf einen besonders hübschen Vertreter einer Sorte: „Eine Filtertüte!“, denn genau darin sammelt er deren Samen, um sie in Zukunft wieder auszusäen.
Eine Schatztruhe und „Liebesbriefe“
Die Liebe, die er in seine Arbeit mit den Pflanzen steckt, trägt Früchte. Er beliefert Freizeitparks der Region, Groß- und Einzelhändler und steht normalerweise auf zahlreichen Märkten mit seinem Bio-Gemüse. „Aber am spannendsten sind die Verkaufshänger wie der in Zschachelwitz“, betont er. Weil sein Geschäft dort allein auf die Ehrlichkeit der Kürbisfans setzt. „Es gibt nur eine Kasse des Vertrauens“, so Heiko. In der landen – neben den erwartbaren Euros – die unterschiedlichsten Währungen, Unterlegscheiben oder auch Chips für die Waschstraße. „Dafür habe ich zu Hause eine Schatztruhe“ – und einen dicken Ordner voller Briefe. Absender: Zu-wenig-Geld-dabei-Haber, die sich entschuldigen, Fans der vielfältigen Gewächse, aber auch Kritiker, die ein matschiger Kürbis zur Rückkehr veranlasst. Stichwort: Mehltau!
„Das ist der größte Feind des Halloween Kürbis. Eine Pilzkrankheit, die den Kürbis innerhalb kürzester Zeit Matsch werden lässt.“ So sehr er versucht, dem Schädling mit natürlichen Mitteln entgegen zu wirken, ganz schafft man es nie. „Da finde ich es ok, wenn die Leute den samt Brief zurück bringen und sich einen neuen nehmen.“
60 Prozent sind ganz ehrlich
Auch wenn es den ein oder anderen Nichtzahler gibt, die meisten Kürbisfans seien ehrlich. „Hätte ich nicht gedacht, aber 60 Prozent sind ganz ehrlich, 20 Prozent können ein bisschen schlecht rechnen und der Rest? Nun ja…“ Trotz mancher Einbußen und Unmut über „gratis“ Ware, dass mit dem Kürbis und ihm ist was Ernstes. Die Begeisterung, mit der er von seinen Pflanzen spricht, ist ansteckend. Normalerweise auf dem Rübenschroter oder Mähdrescher auf verschiedenen Feldern des Landkreises unterwegs, gilt bis zum Bodenfrost die meiste Aufmerksamkeit seinen Kürbissen. „Nach der Ernte geht’s meinem Rücken immer richtig gut, weil ich mich mehr bewege als den Rest des Jahres“, hat er festgestellt – zusammen mit seiner Frau, die noch verrückter als er sei: „Sie hält mir den Rücken frei, unterstützt mich und hilft mir, wo sie kann. Deswegen ernten wir die ersten Kürbisse der Saison auch immer zusammen.“ Ganz in Ruhe. Mit Kaffee.