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ProvinzGlück gehabt – eine Kritik

Altenburg? Das ist doch die Stadt mit den Spielkarten, den vielen wunderbaren, wenn auch größtenteils leerstehenden, Prachtbauten. Die Stadt der Alten, höhö, der Name sagt’s ja schon, wo nix los ist? Da ein Festival organisieren, das das ProvinzGlück feiert? Mittendrin? Platz genug ist, stören wird dich keiner, weil die Häuser oberhalb der Erdgeschosse fast alle tot sind, aber wer soll denn da kommen?

Mit Kritik wie dieser kennt sich die Stadtmensch Initiative und speziell der harte Kern um Susann Seifert und die Farbküche aka „Erlebe was geht gGmbH“ bestens aus. Es ist das gängige Narrativ, die meist bediente Schablone, die rausgekramt wird, wenn es um die Zukunft einer Stadt mit seeeehr langer Vergangenheit geht.

So wie das Wort „Kritik“ von Haus aus negativ behaftet ist. Wer kritisiert, so wird pro forma angenommen, hat was zu meckern, mäkelt rum, ist nicht zufrieden mit einer Situation oder – wie in diesem Falle – einem Ereignis, dem ProvinzGlück-Festival, wie es sich Mitte September bereits mitten in der Skatstadt zutrug.

Na super, und damit kommst du jetzt erst um die Ecke? Findste nicht, dass das ein bissel spät ist und vor allem, wen interessiert das jetzt noch, wo die einzigen sichtbaren Überbleibsel ein Schwung schwarz-weiß Fotografien an der Mauer der Wallstraße und ein paar Hochbeete vor der Farbküche und auf dem Roßplan sind?

Richtig falsch, denn da wären noch die vielen „Souvenirs“, die die Festivalteilnehmer mit nach Hause genommen haben. Erinnerungen an vier besondere Tage, die dosiert eingestreut in so manches Gespräch eine ganz andere „Schablone“ von Altenburg formen.

Samstagabend, kurz nach 19 Uhr: Draußen vor der Farbküche stehen die Liegestühle mitten auf der gesperrten Moritzstraße. Drinnen versucht sich ein 94-jähriger Herr mit Hut und Gehstock einen Reim darauf zu machen, was hier vor sich geht. Denn dass bei seiner allabendlichen Runde nicht nur die Bürgersteige noch unten sind, sondern so viel Leben in der an normalen Tagen schon dösenden Stadt, findet er TOLL. „Wissen Sie, man muss immer in Bewegung bleiben“, wird er uns, die wir in besagten Liegestühlen dieses ungewohnte „Fast-wie-Großstadt-Feeling“ genießen, als kleine Weisheit aus über neun Jahrzehnten Leben dalassen.

Wie Recht er damit hat und wie viel Bewegung in Altenburg drin ist, wurde beim ProvinzGlück-Festival fett unterstrichen. Schon die Eröffnung Donnerstagnachmittag im Hofsalon hinter der Brüderkirche schuf Raum für eine vier Tage anhaltende Leichtigkeit. Ein Stadtgefühl, wie man es sonst eher von lauen Sommernächten in Leipzig oder Berlin kennt, wenn es zu schön ist, um nach Hause zu gehen und ein Bürgersteig plus zwei Kaltgetränke samt Gesprächsstoff reichen, um die Nacht zu einer erinnerungswürdigen zu machen.

ProvinzGlück mitten in der Innenstadt

Mit den nach einem halben Jahrhundert? 😉 wieder vereinten „The Maniacs“ auf der Bühne und einem Publikum, an dem die Statistiker vom Zensus ihrer wahre Freude gehabt hätten, weil sehr vielfältig und alterstechnisch mit massiven Ausschlägen ober- und weit unterhalb der durchschnittlichen 50+ in der Bevölkerung, das sich samstags noch weiter verjüngte beim an gleicher Stelle stattfindenden Kinder- und Jugendtag inklusive Freiluft-Gottesdienst. Die Innenstadt, ein großer Spielplatz – der sich tags darauf in die Moritzstraße verlagerte.

Kreativ, bunt, familiär

Beim kreativen MoritzMarkt konnte sich jeder im Filzen, Knoten oder Ton formen probieren, Bötchen falten, sich zeichnen lassen oder zum ersten Mal im Leben Bekanntschaft mit einer Schreibmaschine oder auch einer Sprühdose machen. Und jene, deren Finger einfach noch zu kurz waren, um selbst den Sprühkopf runter drücken zu können, versteckten sich mit quietschender Begeisterung in den bunt dekorierten Papphäusern, die die Straße flankierten. Oder drehten auf wackligen Beinchen einfach mal eine Runde alleine die Moritzstraße runter bis zur Absperrung, um an einem der Spieltische des Mobilen Spielecafés aufgefangen zu werden. Hier ging keiner verloren, weil es gut besucht, aber nicht überlaufen war, viele sich irgendwo schon mal gesehen hatten und jedes Kind entsprechend zu sortiert werden konnte. Die Magie der kleinen Festivals.

Die Masse machts nicht immer

„Son paar mehr Leute wärn schon schön gewesen“, ein Satz wie Koriander / Kümmel / (hier bitte unliebsames Gewürz nach Wahl einsetzen), der sich entschuldigend in manche der 60 Aktionen und auch in die ansonsten durchweg positiven Fazits einiger Akteure streute. Als sei die schiere Masse an Besuchern / Teilnehmern / medialer Aufmerksamkeit der wichtigste Parameter, an dem sich Erfolg oder Misserfolg des ProvinzGlück-Festivals bemessen ließe. Schablone im Kopf und so, die mich am Ende dieser Kritik zu einer kleinen Runde „Was wäre wenn?“ verleitet.

Wäre das ganze Festival so überrannt worden, wie die Hoehler-Party Samstagnacht im Casino, wären zwar die krassen Besucherzahlen in die Geschichte eingegangen, doch die vielen kleinen Geschichten, an die wir uns stattdessen erinnern, die gedanklichen „Souvenirs“, die jeder mitgenommen hat, wären auf der Strecke geblieben. Hätte es ob der Massen keine Zeit für Gespräche mit dem Einzelnen gegeben und die 9-jährige Anna und ihr Crew zum Beispiel wären um die Chance gebracht worden, als Nachwuchs-Verkäuferinnen von „Wolkenbonbons“ und Hot Dogs zu glänzen. So jedoch konnte jeder in Ruhe beobachten, mit wie viel Stolz die Kinder sich ins Festival einbrachten, blieb genug Raum für Austausch untereinander, aber auch mit neuen Gesichtern, die langfristig im besten Falle dazu beitragen, dass es immer mehr kreative Menschen in Altenburg werden, die die Stadt künftig gemeinsam verändern.

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